FELICITY BROWN - GASTHAUS

SEB KOBERSTÄDT & JONAS MAAS

LÖWEN KULTAU RAHIMI
Arthur Löwen, Felix Kultau, Peyman Rahimi


SIC
Michael Beutler, Benedikte Bjerre, Stephan Engelke,
Othmar Farre & Simon Buckley, Lucas Fastabend,
Lola Göller, Ulrich Pester, Adrian Williams


ZWEITE ORDNUNG
Lucas Fastabend, Sven Fritz, Bernhard Schreiner






Zweite Ordnung

Eine Frage der Bewußtseins-Ökonomie im Alltag: eine Konzentration auf die Beobachtung zweiter Ordnung, das ständige Bewußtsein des eigenen Beobachtens, des Beobachtet-Werdens und der Bedingungen der Ergebnisse dieser Beobachtungen ist schlicht unglaublich anstrengend und würde einen Großteil unserer Aufmerksamkeit binden. Wir können sie uns deshalb nur in bestimmten, eingeschränkten Kontexten leisten. Was im Alltag zur Belastung, gar zu einer Zwangsstörung werden kann, ist unabdingbare Voraussetzung für die Prozesse sowohl der Produktion als auch der Rezeption von Bildern zeitgenössischer Kunst.
Die „Zweite Ordnung“ taugt sicher nicht für ein künstlerisches Branding, als thematischer Kern einer Markenidentität, sondern ist zu verstehen als Fokus auf einen grundsätzlichen Aspekt künstlerischer Produktion, und ein Hauptinteresse material- und formal-orientierter (um nicht zu sagen formalistischer) Werkentwürfe. Die ausgestellten Arbeiten von Lucas Fastabend, Sven Fritz und Bernhard Schreiner eint die Zurückhaltung in den gestischen Behauptungen und damit eine Abstrahierung, oder genauer Vermittlung, des Formsetzungsaktes. Die Entscheidungen finden also tendenziell nicht im direkten Gebrauch der jeweiligen Medien statt, sondern treten nach außen. So ist die vermeintliche Fatalität der Entstehung von Formen im Dazwischen des Transformationsprozesses eigentlich nichts anderes als die Verschiebung der Entscheidung von der direkten subjektiven Gestaltung, vom Gestischen in Richtung von Methodik und Selektion. Die Eigendynamik des Arbeitsprozesses sowie das Material selbst kommen in den Bildfokus, während das Motiv – wenn es denn eines gibt – immer weiter in das Innere einer Matrjoschka rückt, deren einzelne Schichten aber miteinander verwachsen sind. Es ist das Uneigentliche, das zum Eigentlichen der Bildgestalt wird: das Unvorhersehbare im Gebrauch von Werkzeug und Material. Oder die bildnerische Reduktion fast bis zur bloßen Grammatik der Technik.
Im Fall der dreiteiligen Klanginstallation „Help Me – Touch Me – Hurt Me – Trust Me“ von Bernhard Schreiner erscheint die Minimierung der gestaltenden Eingriffe in besonders konsequenter Weise. Der von einer Beat Box der frühen 1970er Jahre generierte langsame, gleichmäßige Rhythmus wird von einem auf dem Boden stehenden Subwoofer wiedergegeben, so daß dieser zwei kleine Objekte auf seiner Aluminium-Membran springen läßt. Der so entstandene Klang, eine Überlagerung des ursprünglichen Beats mit dem metallischen Klirren, wird von einem Mikrophon an einen weiteren Lautsprecher übertragen, welcher damit die Transformationskaskade im Raum abschließt. Allerdings provoziert der Versuch, das Gehörte einzuordnen, i.e. es zu verstehen, bei der unwillkürlichen Suche nach Bedeutung Assoziationen von beinahe stimmhafter Qualität. Doch in diesem Fall dürfte man wohl ausnahmsweise McLuhans Titel-Statement wörtlich nehmen: „The medium is the message“. Man kann der Gerätschaft bei der Erzeugung von Klang zuhören. Der Reiz der Arbeit liegt gerade in dieser Spannung: Auf der einen Seite steht die fast rätselhafte, zumindest aber unsichtbare Tonquelle im Innern der technischen Black box und die Ungreifbarkeit der ornamentalen Klänge im Raum – Schreiner vergleicht sie in ihrer Flüchtigkeit mit Wind und Licht; auf der anderen Seite das konkrete Hörerlebnis, das sichtbare Springen der beiden Metallobjekte im Baßlautsprecher und das Arrangement der Audiotechnik, welche zusammen der Arbeit ihre subtile theatralische Dimension verleihen.
Strukturell ähnlich verhält es sich mit der großformatigen Wandcollage von Sven Fritz, deren sichtbare Formen im Sinne einer Motivik kaum zu benennen sind. Am nächsten käme dem vermutlich noch eine detaillierte Beschreibung der schrittweisen Herstellung aller einzelnen Elemente, die – rein tautologisch – nur sich selbst zum Gegenstand haben. Wie auch im Falle der Arbeit von Bernhard Schreiner kann dies assoziative Interpretationsreflexe herausfordern. Doch die Spuren machen nur Sinn als Zeichen im Rahmen einer Geschichte des Materials. Und was sie erzählt, ist das, was getan wurde – und sie erzählt es ganz beiläufig. Fritz, dessen Œuvre im Kern Bildobjekte im engeren Sinne umfaßt, hat in den letzten zwei Jahren aber immer wieder Ansätze gezeigt, die Objekte auf die Wand zu erweitern oder direkt auf die Wand zu arbeiten. Mit dieser Collage treibt er die Öffnung der Arbeit und damit die Aktivierung der Wandfläche nicht nur als Träger, sondern als Element des Bildes jedoch am weitesten (wobei durch die linearen Begrenzungen der äußeren Formen gleichwohl ein Feld markiert wird, das dezent aber erkennbar das Tableau wieder aufruft). Nichtsdestotrotz verbindet alle Arbeiten grundsätzlich dieselbe Logik der Bildfindung. Die Entscheidung für bestimmte Materialien, deren texturelle und farbliche Eigenschaften ist natürlich willkürlich, allerdings verschiebt er den Prozeß durch die spezifische Abweichung von einer handwerklichen Handhabung des Materials – ich würde diese als kultivierte Unbeholfenheit bezeichnen – bewußt in Richtung des Unwillkürlichen: er macht so die Miß-handlungen zur Quelle von Unvorhersehbarkeiten und gibt in kontrollierter Weise seine Kontrolle ab. Durch diese Delegierung der konkreten Formsetzung wird der gezielte Mißbrauch des Materials zur gestaltenden Kraft.
Auch Lucas Fastabend bedient sich einer vergleichbaren Übertragung von Formentscheidungen während eines vielstufigen Arbeitsprozesses. Zwar kann man bei seinen teils größerformatigen Drucken noch am ehesten von – sogar gegenständlichen – Motiven sprechen, doch haben sie sich im Sedimentationsvorgang der Bildwerdung zu fossilen Einschlüssen verwandelt. Die Prints verkörpern in denaturierter Form den Prozeß ihrer Entstehung, die einzelnen Gestaltungsgesten, die möglichen Spuren, die Abweichungen der Geräte vom reibungslosen Ideal der Technik erzeugen, die Reaktionen auf diese unerwarteten Ergebnisse, all das geht auf der Oberfläche des Papiers eine nicht mehr auflösbare Verbindung ein; es gibt auf der Ebene der Sichtbarkeit keine isolierbaren Elemente, sie sind in der einen Schicht gedruckter Farbe geronnen. Der Sprung der Aufmerksamkeit, wie er den so verbreiteten Phänomenen der Prokrastination, aber auch des Aufmerksamkeitsdefizits eigen ist, prägt die Art des Spiels mit dem Unvorhergesehenen, in dem technische Unvollkommenheiten, Handhabungsfehler und die Diskrepanz zwischen der Einfachheit unserer Handlungsimpulse und der Kompliziertheit der Apparatur zu ungeplanten und daher überraschenden Ergebnissen führen. Diese können dann, durch die Reetablierung relativer Vorhersehbarkeiten, wiederum zu Instrumenten und Motiven von Bildern werden. Die Arbeiten von Lucas Fastabend liefern nicht nur als Nebenwirkung ein Ab-bild der Wirklichkeit des an ihrer Hervorbringung beteiligten Apparats, der Formbestimmung duch ihre sogenannten Mängel, ihre Verschleißerscheinungen und Verschmutzung, Kratzer, Flecken, Sensorschäden. Die abseitigen Material- und Formreservoire rücken ins Zentrum. Auf gänzlich analoge Weise widmet Fastabend sich ihnen in einer Reihe von schwarzweißen Diaprojektionen, die recht freie Schattenzeichnungen von diversen Fusseln, Faserstiftspuren, Fäden, Kratzern und Haaren, also Eingriffen direkt auf dem Träger, an die Wand werfen. Natürlich spielen die Handfestigkeit und Geräuschkulisse des Projektors – das rhythmische Klacken des Trommelmagazins, das Surren des Ventilators – und die Ungreifbarkeit der Projektion eine gewisse Rolle (doch das ist eben das mediale Profil), das eigentlich Interessante ist allerdings die Spannung zwischen: dem Schmutz, dem die Vergrößerung und Reduktion zur Silhouette als Motiv und Material der Zeichnung eine gewisse Abstraktheit und Härte verleihen, die Flüchtigkeit der zeitlich begrenzten Projektionen und dem Gestus der Behauptung als Bild.

Stephan Engelke

Fotos: Sven Fritz

Bernhard Schreiner
Help Me – Touch Me – Hurt Me – Trust Me
Rhythm Ace FR-30 beatbox, Subwoofer-Speaker, Mikrofon, Mixer, Verstärker, Lautsprecher Box, Kabel, Metallschale, Goldring · 2011

Sven Fritz
o.T. · Lack, Rauhfasertapete, Vliestapete · 2013



Lucas Fastabend · o.T. · 104,5 x 150 cm · Print auf Hahnemühle Baryta · 2013
Sven Fritz · o.T. · Öl, Lack, Papier, Holz · 2012
Berhard Schreiner · Help Me – Touch Me – Hurt Me – Trust Me













Sven Fritz · o.T. · Lack, Rauhfasertapete, Vliestapete · 2013
Sven Fritz · o.T. · Öl, Lack, Spachtelmasse, Holz · 2013
Lucas Fastabend · FF · Acryl, Lack, Papier, Bleistift auf MDF · 2013




Berhard Schreiner · Help Me – Touch Me – Hurt Me – Trust Me
Lucas Fastabend · o.T.· UV-Druck, Halbkreidegrund, MDF · 2013
Lucas Fastabend · o.T.· Inkjet Prints, Lack, Acryl, Stoff auf MDF · 2013
Sven Fritz · o.T · Tusche, Inkjet Print, Papier, Glas, Gewebeband, MDF · 2013
Berhard Schreiner · Help Me – Touch Me – Hurt Me – Trust Me






Sven Fritz · Arlecchino · Acryl (Monotypie), Inkjet Print, Papier · 2013
Sven Fritz·Haze · Öl, Tusche, Lack, Acryl, Holz · 2013
Lucas Fastabend · WDYTAMW // · UV-Druck, Halbkreidegrund, MDF · 2013




Lucas Fastabend
FFF · Diaprojektion, 40er Loop · 2013